13. Dezember 2020 jer

1300 Jahre Heilige Ottilia

Am 13. Dezember 720 starb die heilige Ottilia im Kloster Hohenburg im Elsass, dem heutigen Odilienberg. Dort, in St. Ottilien und bei den vielen Gemeinschaften der Missionsbenediktiner sollte das ein großes Fest werden. Die Pandemie hat dem allen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Was diese Heilige heute bedeuten kann, schildert Abtpräses Jeremias Schröder in seiner Festtagspredigt zum 13. Dezember 2020.

„In der Klausur unseres Klosters gibt es ein Halbrelief, das die Stiftung des Klosters auf dem Odilienberg im Elsass zeigt: das fürstlichen Elternpaar der heiligen Ottilie, Etich und Bereswinda, auf einem Thron sitzend. Der Vater reicht der Tochter den Schlüssel zur Herzogsburg, die dadurch zum Kloster wird, in dem bald 130 Nonnen leben werden.

Auf dem Odilienberg entsteht unter Ottilias Leitung ein Kloster, das nicht nur ein Ort für tugendsame und brave Schwestern ist. Eher schon ein Ort der weiblichen Kraftentfaltung. Diese Frauen sind nicht wehrlos; die Nonnen rächen sich – etwas unchristlich aber erfolgreich – durch Gebet am Mörder eines Bruders ihrer Äbtissin.

Das Bild spricht auch durch das, was man nicht sieht. Kein Papst, kein Bischof, ja nicht einmal ein Pfarrer oder ein Mönchlein sind dabei. Und auch sonst tauchen diese geistlichen Herrschaften in der Vita der heiligen Odilia praktisch nicht auf. Einzige – freilich wichtige – Ausnahme ist der Bischof Erhard aus Regensburg, der im Traum den Auftrag erhält, das blind geborene Mädchen zu taufen. Er kommt und geht wieder, und hinterläßt sonst keine Spuren. Als Jahrhunderte später aus Regensburg die „Entdeckung seines Grabes berichtet wird, hört man heraus, dass es von der Erfindung zur Auffindung nur einen kleinen Silbendreher braucht.

Immer wieder spürt man, dass an der Spitze dieses Klosters eine Fürstentochter steht. Durch die Widrigkeiten ihrer Jugend – Blindheit, Verstoßung, Exil und harte Klosterschule – wurde sie gestählt. Von Haus aus hat sie gelernt, zu befehlen: nicht forsch oder brutal, sondern weise und klug. Und so ist sie ihren Schwestern beides: Gebieterin und Mutter. Im 8. Jahrhundert ist das noch eine Selbstverständlichkeit. Natürlich versteht eine Herzogstochter mehr vom Führen als eine einfache Magd, denken alle. Erst im Spätmittelalter entstehen romantische Legenden, die Ottilia volksnäher machen. Jetzt erzählt man, dass sie während ihrer Exilsjahre bei einem Müller gelebt und gearbeitet hat, und sogar kleine Wunder an der komplizierten Mühlenmechanik vollbrachte.

Auf dem Odilienberg gibt es Wunder-Zeichen, die an die allergrößten Heiligen erinnern. Ähnlich wie Benedikt füllt sich ein leeres Fass, hier mit Wein, mit dem sie die Schwestern erfreut. Und wie der heilige Martin kommt auch Odilia noch einmal aus dem Tod zurück.

Aber auch sonst tut sie all das, was ansonsten die Männer tun: sie plant und erbaut eine Klosterkirche für den von ihr hochverehrten Johannes den Täufer, und auch ein Hospiz für Kranke im Tal. Sie sucht sich selber die Männer aus, die sie zu Priestern für den Altardienst weihen lässt. Und als sie vor ihrem zweiten Sterben die letzte Wegzehrung empfängt, da nimmt sie sich selbst die Kommunion. Auf einer alten Darstellung sieht man einen Priester etwas unnütz im Hintergrund stehen, und auf einer anderen sind es stattdessen heilige Engel, die ihr den Kelch reichen.

Überhaupt die Engel. Später wird man auf dem Odilienberg das Kirchweihfest immer als eine Engelweihe feiern dann nach der alten Überlieferung hätten die heiligen Engel die Kirchweihe vollzogen. Das ist kein erbaulicher Kitsch, das ist eine Kampfansage: wir stellen uns lieber vor, dass die Engel diesen Ritus vollzogen haben, als dass wir uns daran erinnern, wie wir den Bischof einladen mußten. Mit dem Domkapitel von Straßburg lagen die Nonnen auf dem Odilienberg jahrhundertelang im Streit um ein paar kostbare Grundstücke und ein Haus, das die Domherren sich gerne unter den Nagel gerissen hätten.

Das Bemühen, solcherart übergriffigen Männern auszukommen, zieht sich durch die Vita Ottiliens und die Tradition des elsässischen Klosters. Die Nachfolgerinnen Ottilias organisieren den priesterlichen Dienst für den Konvent deshalb recht geschickt. Patres aus vier verschiedenen Klöstern sollen sich abwechseln, so dass nicht ein Abt allein oder ein Spiritual allein das geistliche Sagen bekommt.

Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat vor ein paar Jahren in seinem Buch „Krypta“ auf die vielen halbversteckten und begrabenen Traditionen in der Kirche hingewiesen, die uns zeigen, dass es auch anders gehen kann, als wir es heute gewohnt sind. Dass vieles anders werden wird, das pfeifen ja die Spatzen von den Dächern. Aber dass es auch früher anders sein konnte, das wissen nicht alle, und das können wir von der heiligen Ottilia lernen.

Als der Gründer unseres Klosters 1886 diesen Ort entdeckte, das war das für ihn auch eine Befreiung. Am ersten Gründungsort, in der Opferpfalz, wurde er von einem starrsinnigen Bischof verfolgt. Hier, unter dem Patronat der elsässischen Äbtissin und auch – das sei gesagt – unter einem milden und klugen Augsburger Oberhirten, konnte sich seine Gründung entfalten. Schwierige Anfangsjahre gab es auch hier, aber mühsame Jahre des Leidens und Kämpfens hatte ja auch das blinde Mädchen im Elsass überstanden: schließlich konnte der ihr anvertraute Ort aufblühen.

Was gibt die heilige Ottilie uns mit, uns Ottilianern, und auch den vielen Gläubigen, die immer wieder bei ihr Zuflucht suchen?

Erstens: Wir sollen die Augen aufmachen, um genau hinzusehen, auch hinter das Vordergründige und Offensichtliche. Wir gehen oft genug halbblind durchs Leben, fixiert auf ein paar Dinge in unserer Nähe, odere kleine Bildschirme. Es ist ein Geschenk, die Welt wahrnehmen und erkennen zu können. Nutzen wir es!

Das zweite ist Furchtlosigkeit. Ottilia hat sich vor niemandem geängstigt und ist allen mutig entgegengegangen: dem gewalttätigen Vater, neidischen Nonnen, abergläubischen Mitschwestern, selbst dem eigenen Tod. Wer auf Gott vertraut braucht sich nicht zu fürchten!Das passt besonders gut in unsere verunsicherte Zeit.

Und drittens: der Schlüssel zu dem allen ist die Taufe. Sie war das entscheidende Ereignis ihres Lebens: von der Blindheit zum Glauben, vom Dunkel zum Licht. Ihr ganzes Leben lang hat sie aus dieser Taufe gelebt. Wir, die wir fast alle schon als unmündige Kleinkinder getauft wurden, werden durch Ottilie daran erinnert, dass dieses Hineingenommen werden in die Liebe des dreifaltigenen Gottes die tiefste Herzmitte unserer Berufung ist. Das ist wichtiger als all das andere, mit dem wir Benediktiner und sonst noch beschäftigen. Aus der Taufe heraus sind wir Mönche geworden, und aus der Taufe heraus sind wir missionarisch. Es geht um den dreieinigen Gott: Vater Sohn und Heiliger Geist! Ihm sei Lob und Ehre in Ewigkeit.“